Das stimmt schon, 100%ig hat man sich natürlich nicht an den Roman gehalten, aber im Vergleich mit anderen Verfilmungen, wo Figuren wie Holmwood oder Morris gerne mal weggelassen, oder die Namen der Frauen vertauscht werden, hält sich der Film schon stärker an das Buch. Aber leider fehlen trotzdem sehr viele tolle Passagen, wie etwa die, wo die Männer in das Haus des Grafen einbrechen und von diesem überrascht werden.
Des Grafen Hauptopfer Mina ist - soweit ich mich erinnere - das Ebenbild seiner verstorbenen Frau, was die Begegnung um eine schicksalhafte Komponente erweitert.
Stimmt
Eigentlich ist sie fast eine Wiedergeburt, weil sie sich in manchen Szenen an Dinge erinnern kann, die sie nie gesehen hat.
Anfangs hat mich die Liebesgeschichte ziemlich gestört, aber wenn man sich ansieht, wie extrem streng, prüde und konservativ diese viktorianische Gesellschaft war, dann hat Dracula schon fast etwas Befreiendes für Mina, eine Art Flucht aus dieser Gesellschaft. Bei Harker ist es ähnlich: er ist der übermoralische, superkorrekte junge Makler, der sehr auf die korrekte Uhrzeit achtet (der Roman beginnt bezeichnenderweise mit einer Notiz über Abfahrts- und Ankunfstzeiten seiner Züge) - doch sobald die drei Vampirfrauen auftauchen, ist er plötzlich nicht mehr der viktorianische Gentleman, sondern ebenfalls befreit von den Zwängen, wenn auch nicht in der Form wie Mina.
Ich meine, im Roman gibt es zahlreiche Stellen, die aus heutiger Sicht veraltet und „frauenfeindlich“ wirken, etwa wenn Van Helsing über Mina sagt, sie habe „den Verstand eines Mannes, und das Herz einer Frau“. Das zeigt, was für ein Frauenbild da vertreten wird.
Da finde ich es legitim, wenn der Film zeigt, dass jede Figur, auch die Guten, eine dunkle Seite hat, und Dracula nicht der reine Bösewicht des Buches ist,
Der Film ist aber von Coppola laut eigener Aussage als „erotischer Alptraum“ konzipiert; es geht gar nicht darum, dass alles einen Sinn ergibt oder logisch ist. Ich finde es mehr als beachtlich, wie man mit reinen Bühnentricks sowie Filmtricks der Stummfilmzeit so ein Ergebnis erzielen kann!
Nimm etwa die Szene, wo man Harkers Tagebuch im Vordergrund sieht, und am Rand des Buches fährt sein Zug entlang, der einen Schatten auf die Seiten des Buches wirft. Die haben eigens für diese Szene ein meterlanges Buch gebaut und eine Modelleisenbahn davor fahren lassen, und mittels richtiger Beleuchtung den gewünschten Effekt erzielt! Alles, was man im Film sieht, ist echt!
Oder wenn Dracula Jonathan Harker das Gesicht rasiert, da werden die Wände langsam nach innen geschoben, damit die Szene noch bedrohlicher wirkt - ein simpler Trick, im Film aber sehr wirkungsvoll.
Oder auch wenn Lucy vor Van Helsing in ihren Sarg flüchtet - die Szene wurde rückwärts gedreht, damit ihre Bewegungen unnatürlich und geisterhaft wirken. Auch das ein einfacher Trick, der aber im Film super aussieht. (Ich denke da etwa an den Film „Frankenstein“ von 1910, wo man eine Monsterpuppe verbrannt hat, um den Film dann rückwärts abzuspielen, so dass es aussieht, als würde sich das Monster Stück für Stück von selbst zusammensetzen.)
Besonders gruselig die Szene, wo der Kutscher nach Harker greift, und sein Arm dabei immer länger wird. Würde man das heute mit CGI drehen, hat man es hier ganz einfach gemacht: der Kutscher sitzt auf einer beweglichen Plattform, die sich auf Harker zubewegt. Wenn es richtig gefilmt wird, sieht es aus, als ob der Arm länger wird, in Wirklichkeit bewegt sich der ganze Kutscher gleich mit. Das ist für mich Filmemachen - sich überlegen, wie man gewünschte Effekte realisiert, und Dinge abfilmen, die tatsächlich vor der Kamera sind. Eine grüne oder blaue Wand filmen und alles hinterher einfügen lassen, das ist für mich kein Film.
EDIT: bist du ein Fan von „Einer flog über das Kuckucksnest“?