ARD, ZDF und die Gesellschaft

Oft, und in den überwiegenden Fällen mit Nichten zu Unrecht, regen wir uns über die Qualität, oder viel mehr deren Abwesenheit, im öffentlich rechtlichen Rundfunks auf. Die Frage die sich mir persönlich dabei immer stellt ist die: In wie weit dies auch einen Spiegel der Gesellschaft darstellt. Joseph Marie de Maistre sagte mal jedes Volk habe die Regierung die es verdient. Bekommen wir, in unserer Gesamtheit als Fernsehzuschauer/-konsumenten (damit sind jetzt nicht nur die in diesem Forum versammelten kritischen Geister gemeint :smiley: ), vielleicht das Fernsehen, welches wir verdienen?

Vieles was ARD, ZDF und ihre Abkömmlinge uns präsentieren wäre vor zwanzig bis dreißig Jahren noch undenkbar gewesen. Eine Welle der Empörung wäre damals durch das Blätterdach des deutschen Feuilletons gerauscht und die Poststellen der Sender wären von Lawinen des Protestes überrollt worden. So was wie Millski im Fernsehgarten… Die FAZ hätte den Kopf des Intendanten gefordert… Und was geschieht heute? NICHTS!!! NADA!!! NIENTE!!! NOTHING!!!

Bleibt als logische Konsequenz: Der durchschnittliche deutsche Fernsehzuschauer bekommt das was er verdient. Er hat den Einheitsbrei zwar nicht bestellt, aber er hat den Mist der ihm bisher täglich serviert wurde aber auch noch nie zurückgehen gelassen. Im Gegenteil: Wie zu Preußens besten Zeiten hat er brav gelöffelt was ihm die hohen Herren serviert haben. Wohl bekomm’s!

Was ich damit sagen will: Unser vordringlichstes Problem ist weniger das Fernsehen an sich, sondern vielmehr unsere gesamte Gesellschaft. Fernsehen à la Bildzeitung ist kein Unterschicht oder Bildungsproblem; diese Art der Selbstbetäubung(1) ist längst in allen Schichten angekommen; sondern es ist das Problem einer Gesellschaft die an ihren inneren Widersprüchen zu zerreißen droht. Um es aus einer marxistischen Perspektive zu sagen: Nicht Religion ist heute das Opium des Volkes sondern das Fernsehen.

Sowohl die Gesellschaft als auch das Fernsehen gleichen einem Mann der aus dem 50ten Stock springt und sich im Fallen immer wieder sagt: „Bis hierher liefs noch ganz gut… Bis hierher liefs noch ganz gut…“ Was zählt ist jedoch nicht der Fall sondern die Landung. Und die macht mir von Tag zu Tag mehr Sorgen.

(1) Zitat aus http://www.youtube.com/watch?v=bZRuGGXAxew

"4.1.2
The Homo Modernus does not reason. He cuts and pastes images utill he comes up with a sensible discourse.

4.2
When there are no images to <think> with, he numbs himself in order to forget that he is an image that thinks it is a human being.

5.0
Those who do not numb themselves, live neurotic or psychopathic lives filled with doubt and desperation.

5.0.1
Nevertheless, such anxiety can lead to interesting tings. Sometimes.

(…)

7.0
The Homo Modernus does not lead a life. He is consumed by the logistics of daily existence. What is not daily logistics is self-numbing. What is not self-numbing is desperation.

7.0.1
Desperation must be stopped, through either daily logistics or self-numbing.

7.1
The aforementioned is called a <philosophical- thermodynamic loop>."

LG Gregor the Great

An das Publikum

O hochverehrtes Publikum,
sag mal: Bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: "Das Publikum will es so!"
Jeder Filmfritze sagt: "Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!"
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
"Gute Bücher gehn eben nicht!"
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?

So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte…
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?

Ja dann…
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmässigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Griesbrei-Fresser-?
Ja, dann…
Ja, dann verdienst dus nicht besser

(Kurt Tucholsky)