Ich habe heute Nachmittag mehr oder weniger versehentlich Kenntnis von der heutigen Sendung “Aktuelle Stunde” im WDR Fernsehen genommen.
Es plätscherte zunächst auf der Tunerkarte so neben her, bis mir jeder weitere Beitrag zunehmend auf den Magen schlug. Es ist nicht allein der von vornherein anspruchslos-boulevardeske Charakter der Sendung, wie man ihn z.B. schon seit Jahren in ARD Sendungen wie “Brisant” gewohnt ist, nein, die Fremdschäm-Momente addieren sich zu einer derartigen Beklemmung, dass sie bei halbwegs gebildeten Zuschauern (und dazu zähle ich mich Kraft eigener Arroganz) nur Würgereiz verursachen können.
Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sendungen dieser Art einmal im FKTV-Magazin gewürdigt werden und dabei auch ihre Wahlverwandschaften zu RTL (II) und Co. aufgezeigt werden.
Mir ist schon klar, dass viele Zeitgenossen der Umstand des niveaumäßgen Verfalls des WDR kalt lässt, aber ich habe den Sender zuvor v.a. mit Qualitativ hochwertigem Programm assoziiert wie der Sendung mit der Maus, Quarks und Co., Domian etc. und von daher möchte ich meinem Unmut etwas Luft machen.
Themen der Aktuellen Stunde vom 29.02.2011:
Schlecker. Die Insolvenz wird als trauriges Ereignis dargestellt, es ist von der Suche nach Möglichkeiten zur “Rettung” des Untrenehmens die Rede. Dazu werden O-Töne von Mitarbeitern eingeholt, der Insolvenzverwalter kommt zu Wort und es werden belanglose Außenansichten und eine Verkäuferin beim Einräumen von Regalen gezeigt.
Es sei einmal dahingestellt, ob es vor dem Hintergrund gnadenloser Ausbeutung, sowohl von Arbeitnehmern als auch der Allgemeinheit (Thema ALG II Aufstocker), gerechtfertigt ist, die Schleckerpleite als Verlust zu bezeichnen. Ich sehe es hingegen als ganz deutliches Zeichen, dass die Menschen dieses Landes, die sg. “Gesellschaft”, durch Kaufverzicht in einem ur-demokratischen Akt diesem Unternehmen die Legitimation entzogen haben und dass es sich daher um ein positives “Ende mit Schrecken” vor dem Hintergrund eines “Schreckens ohne Ende” handelt.
Multiresistente Krankenhauskeime. Soweit als Thema OK, aber es wird ausschließlich auf mutmaßliche Schädigung von bzw. Todesfälle bei frühgeborenen Babys abgezielt. Dass Infektionsübertragung im Krankenhaus ein Dauerthema ist, mit dem sich sehr viele Kliniken herumschlagen und das vor allem ältere, geschwächte Patienten betrifft, wird nicht erwähnt. Um die tut es schließlich auch niemandem Leid.
Ehrensold für Wulff. Kategorie: Nachtreten aus der Deckung eines konstruierten “Konsens der Straße” heraus. Dieser soll anhand passend ausgesuchter Facebook-Kommentare belegt werden. Nur mal so nebenbei: Hieße das Wort nicht “Ehrensold”, sondern schlicht “Abfindung”, wäre der ganze Aufreger weg. Mal abgesehen davon: jedes Land bekommt genau die Politiker, die es verdient. Nach dem äußerst fragwürdigen Verhalten der Medien in Angelegenheiten rund um das höchste Amt im Staate gilt dies zukünftig leider umso mehr.
Schäuble und das Soduku. Es wird ein Pseudo-Sakandal um Schäuble inszeniert, in dem das Soduku spielen in einer Wartephase so aufgebauscht wird, als wäre er mit einem Tittenheftchen unter dem Tisch erwischt worden. Die ganze Story wurde aus eindeutig unzulässigen Kameraaufnahmen kreiert und dieser Umstand wird im Laufe des Beitrags sogar erwähnt, dann wiederum über das Wort “eigentlich” relativiert, und als Krönung durch den Leiter des ARD Hauptstadtstudios im Interview bestätigt. Und dann… wird dreist mit dem bösen Spiel weiter gemacht.
Eigentlich, lieber WDR, müsstet ihr für diese Nummer im Bundestag Hausverbot bekommen.
O-Töne vom Pöbel auf der Straße dürfen natürlich ebensowenig fehlen wie weitere, teilweise arg angegilbte historische Aufnahmen unserer ach so peinlichen Politiker, unterlegt mit Zirkusmusik.
Soll ich wieder etwas über Anreize für Leistungsträger sagen? Nein, ich lasse es lieber bevor ich mich im Ton vergreife.
Spendengeld von Unbekannt. In Braunschweig sind wiederholt größere Bargeldspenden aufgetaucht. Im Grunde ist die die Story mit dieser Feststellung beendet, aber man nötigt den Empfängern unbedingt noch Stellungnahmen ab, dass sie das Geld ja so gut gebrauchen konnten. Ach ne, das hätte wirklich niemand vermutet. Dazu noch diverse Fußmatten und Briefkastenschlitze gefilmt und über Mister X gemutmaßt. Ob der überhaupt legal an das Geld gekommen ist, fragt niemand und schon sind wieder ein paar Minuten gefüllt.
Rohrbruch in Köln. Ein Glücksfall des Alltags, zumindest für die Boulevardreporter. Insgesamt ein völlig banales Ereignis, das allenfalls unangenehm bis teuer für die Betroffenen ist. Aber Bilder vom versunkenen Benz freuen natürlich den “kleinen Mann” (Zitat Wulff-Beitrag).
Mechanikertod. Zwei Mechaniker sind nach Arbeitsende jeder für sich, aber irgendwie auch an derselben Vergiftung verstorben. Motto: “Soweit wir wissen, wissen wir nichts” und als Füller wird dezent die Mystery-Schiene bedient, auf verpixelte Portraits mit Kerze darunter gezoomt und minutenlang abgehandelt, was alles nicht die Todesursache war.
Gerüchte um Podolski. Wieder Motto: “Soweit wir wissen, wissen wir nichts”. Wieder eine Minute rum.
Frauenleiche aufgefunden mit mutmaßliche Verbindung zu Prostitution. Es folgt eine rein aus Archivmaterial (!) konstruierte Story um Zwangsprostitution und Menschenhandel. Der Bogen auf die Situation in Ostwestfalen-Lippe wird geschlagen und ein Archiv-Interview mit der Vertreterin einer Beratungsstelle eingespielt. Relevanz: Null. Anschließend zurück zum Thema, Bilder einer Betongarage mit Polizeisiegel, ergebnisloses Interview mit der Staatsanwaltschaft, dazwischen immer wieder Archivbilder aus dem Bereich Prostitution.
Lückenfüller: Reporter als “Aushilfe” im Baumarkt.
Geburtstagskinder am 29. Februar. Ja, auch dieses seit Einführung des gregorianischen Kalenders gut angehangene Thema ist dem WDR eine Story wert.
Wetter (+Geschwätz).
Es folgen noch einige Last Minute Beiträge, die vom Gehalt her in dieser Sendung auch locker als Vollbeitrag ihren Platz gefunden hätten.
Was die Einzelthemen der Sendung betrifft, unterstelle ich dem Sender die Vorgehensweise, mit Blick auf die Quote eine Art unreflektierte, bildungsferne Mehrheitsmeinung zu befriedigen, ohne auch nur den Versuch einer objektiven Betrachtung zu unternehmen.
Ja, das war es erstmal von meiner Seite. Vielleicht gibt es noch weitere Meinungen zum Format an sich, tiefergehende und fundiertere Analysen etc. Die Clips sind im Web verfügbar. Ich hoffe jedenfalls dass es sich lohnt, dem WDR für derartige Formate eine klare Absage zu erteilen.