Abstruse Drehbücher schaffen mediale Zerrbilder

Hallo Holger,

ich möchte Sie auf folgendes hinweisen:

Britta Steinwachs über die Inszenierung einer „Unterschicht“ in Fernsehsendungen des so genannten „Scripted Reality“. Britta Steinwachs ist Soziologin und befasst sich ideologiekritisch mit popkulturellen Phänomenen.

Interview mit Britta Steinwachs: http://www.nachdenkseiten.de/?p=31365

Britta Steinwachs: Zwischen Pommesbude und Muskelbank. Die mediale Inszenierung der „Unterschicht“. Erschienen im Dezember 2015 bei edition assemblage.

Wäre das nicht eine Überlegung wert, Frau Steinwachs zu FKTV einzuladen?

mfg zorn

Britta Steinwachs: Es gibt einige Studien, die sich mit der Wirkung von Scripted-Reality-Sendungen auf Kinder und Jugendliche auseinandersetzen. Darin zeigt sich, dass eine große Mehrheit das Gesehene für real oder zumindest realistisch hält. Darüber, wie sich das Publikum dieser Sendungen genau zusammensetzt, gibt es keine Untersuchungen.

Welche Studie? Quelle? Und es gibt einen Unterschied zwischen realistisch und real. Ich denke, dass tatsächlich viele der scripted reality Sendungen realistisch sind (zumindest die, die ich gesehen habe), weil sie tatsächlich so in deutschen Haushalten passieren könnten. Das bedeutet noch lange nicht, dass behauptet wird, dass das die Regel ist. Des Weiteren kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, der die Grundschule mit ausreichendem Erfolg absolviert hat, diese Sendungen für real hält. Ich kann mich täuschen, halte es aber doch für sehr unglaubwürdig. Ich glaube, dass diese Sendungen zu größten Teilen von der so genannten „Unterschicht“ geguckt werden (siehe nächster Punkt).

Zuschauer_innen werden in den Sendungen mit dem Scheitern fremder Menschen konfrontiert. Dadurch werden soziale Ängste davor geschürt, selbst gesellschaftlich geächtet zu werden, weil man sich nicht genug an die Regeln und Anforderungen der Gesellschaft angepasst hat.

Das sehe ich genau anders! Ich glaube, dass diese Sendungen bei der „Unterschicht“ das auslösen, was das Dschungelcamp bei den „Gebildeten“ bewirkt - absoluter Voyeurismus. Sich einfach daran aufgeilen zu können, dass es Menschen gibt, die noch erbärmlicher sind als du. Du kannst noch so ein versiffter, stinkender Hartz-4 Penner sein, der nichts in seinem Leben auf die Reihe bekommt. Gottseidank bist du nicht einer von diesen Losern von ‚Familien im Brennpunkt‘.

Die soziale Ungleichheit ist also der Nährboden für diese klassendiskriminierende Debatte, weil das medial gezeichnete Bild der „faulen Unterschicht“ mit herrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen in der Leistungsgesellschaft radikal bricht.

Äh, was? Verstehe ich die Olle richtig? Behauptet die ernsthaft, dass sich die „Oberschicht“ durch die Menschen aus diesen Sendungen bedroht fühlt, weil sie sich einen schönen Lenz machen, während sie alle hart arbeiten?! Okay, mit aller Liebe, keiner, wirklich KEINER, der diese Sendungen aus unerfindlichen Gründen für real hält, beneidet diese Menschen oder ist in irgendeiner Art eifersüchtig. Vielleicht führt es tatsächlich dazu, dass man noch etwas abwertender auf diese minderbemittelten Menschen schaut, aber das führt dann nicht zu einem ‚Ungerechtigkeitsgefühl‘, sondern eher ganz im Gegenteil zu einem ‚Gerechtigkeitsgefühl‘ nach dem Motto „Ja, der kriegt zwar jeden Monat sein Hartz 4 in den Popo geschoben und ich muss mir jeden Tag den Arsch aufreißen, aber dafür bin ich nicht so eine lächerliche Witzfigur“.

Drängt sich mir die frage auf: Wer genau zählt denn jetzt zur „Oberschicht“? Vielleicht jene, welche finanziell so erfolgreich sind, dass sie den gleichen „Luxus“, welcher sich der faule ALGll-Empfänger ohne Zutun bemächtigt, selbst aufbringen? wahrscheinlich… ich denke nur, dass eher solche sich als ungerecht behandelt fühlen, die eben hart arbeiten und immernoch knapper sind, bzw. eben nicht den „Luxus“ sich leisten können…

Ich finde ja diesen Satz besonders ähh… schade:

Damit spricht dieses Format nicht wie die Ratgeberliteratur ein Publikum an, welches aktiv seinen Erfolg steigern will, sondern wendet sich an eine breite Masse zuhause auf dem Fernsehsessel

wieso muss sich das ausschließen? Fernsehen könnte so schön seinen Bildungsauftrag wahrnehmen… ja ich weiß… könnte… :confused: Ich glaube nicht, dass diese „Unterschicht“ nicht lernwillig ist oder seinen Erfolg steigern will. Das Fernsehen kann nur leider dieses Bild vom Erfolg durch genau solche Formate mit vorgeben. Auch wenn alle Zuschauer wissen, dass es sich um eine erfundene Geschichte handelt, so werden dennoch durch regelmäßigen Konsum bestimmte Werte ins Gehirn eingespeichert. Oder ganz plump: Wenn ich immer wieder Kinder sehe, die ihre Eltern beleidigen, dann sinkt die eigene Hemmschwelle der Zuschauer (-kinder), „da das ja andere auch machen“…

Ich denke das ist bei allen Dingen so. Je öfter ich was bestimmtes wahrnehme (ob auf der Straße gesehen, im Film, im Buch gelesen etc), desto „normaler“ wird es für mich… Das kann positiv wie negativ sein.

Es gibt mit Sicherheit noch immer genug Zuschauer die solche Sendungen durchaus für real halten. Und sei es nur im Sinne von „nach wahren Begebenheiten“. Gerade jene die oft selbst knapp über dem unteren Rand leben (einige finanziell, andere geistig) neigen ohnehin zu einem entsprechenden Bild über H4er & Co.

Behauptet die ernsthaft, dass sich die „Oberschicht“ durch die Menschen aus diesen Sendungen bedroht fühlt …

In dem gesamten Interview wird nichts von Oberschicht erwähnt. Diese schaut solche Sendungen wohl auch kaum. Oder wo beginnt bei dir die Oberschicht?

Ja, ich hab mich da nicht deutlich genug ausgedrückt. In meinen Formulierungen ist alles Oberschicht was nicht Unterschicht ist (also weder zu den dargestellten Personen gehört, noch zur Zielgruppe dieser Sendungen).

Es gibt mit Sicherheit noch immer genug Zuschauer die solche Sendungen durchaus für real halten. Und sei es nur im Sinne von „nach wahren Begebenheiten“.

Das meinte ich mit dem Unterschied zwischen real und realistisch. Es ist realistisch, aber eben kein Alltag.

Ich denke das ist bei allen Dingen so. Je öfter ich was bestimmtes wahrnehme (ob auf der Straße gesehen, im Film, im Buch gelesen etc), desto „normaler“ wird es für mich… Das kann positiv wie negativ sein.

Da hast du sicher Recht, nur wird uns tatsächlich dieses Bild vermittelt? Ich finde das nämlich nicht. Ich finde, dass die meisten Sendungen dem Zuschauer suggerieren, dass es sich hier um eine Extremsituation handelt. Die Sendung heißt doch auch ‚Familien im Brennpunkt‘.