"Überzeugt uns!" (ARD) - Ich bin nicht überzeugt

Heute lief in der ARD die Wahlsendung “Überzeugt uns!”, in der es laut Ankündigung darum gehen sollte, dass junge Leute von Politikern überzeugt werden sollten, für ihre Partei zu stimmen. Der Trailer, in dem Pierre M. Krause schon Dirk Niebel fragte “Wenn Sie morgens aufstehen, sagen Sie dann eher OMG oder Yolo?”, ließ schon Schreckliches erahnen…

Um es mal vorweg zu nehmen, ganz so schrecklich ist die Sendung dann doch nicht ausgefallen, aber ihren Zweck erfüllt, nämlich die Jugendlichen zu erreichen, hat sie auch bei Weitem nicht. Hier mal meine Kritikpunkte an der Sendung:

[B]1.) Späte Sendezeit[/B]
Wie schon der Fernsehkritiker geschrieben hat: Warum läuft so eine Sendung unter der Woche zu so einer späten Uhrzeit? Wie so oft, wird für junge Leute Interessantes wieder im Nachtprogramm versteckt.

[B]2.) Warum macht man eine Sendung für junge Leute und lässt dann kaum junge Leute zu Wort kommen?[/B]
Liebe ARD, wenn ihr schon eine Sendung bringt, in der junge Leute von der Politik überzeugt werden sollen, warum zum Teufel spielen dann junge Leute in der Sendung so gut wie keine Rolle? - Am Anfang blendete man groß das jugendliche Publikum ein, aber dieses war dann nichts weiter als Kulisse und wurde nicht eingebunden.

Ja, es gab diese drei Alibi-Jugendrepräsentanten, deren schweres Schicksal (prekärer Job, keine Kinderbetreuungsmöglichkeit, von der NSA ausspioniert) in einem Einspielfilm präsentiert wurde und die anschließend als Überleitung eine Frage an die Politikerrunde stellen durften. Das war’s dann schon. Eine Diskussion zwischen den Betroffenen und den Politikern kam nicht auf, es konnte nicht kritisch nachgefragt werden, denn da hatten dann schon wieder die Moderatoren das Heft in der Hand.

Desweiteren gab es dann noch die Möglichkeit, im Internet Fragen zu stellen, die dann in der Sendung vorgelesen wurden. Auch so sollte die Meinung junger Leute in die Sendung integriert werden. Allerdings nahm die Verlesung und Beantwortung dieser Fragen von der gesamten Sendezeit (90 Minuten) nur allerhöchstens 10 Minuten ein. Näher gehe ich darauf noch im nächsten Abschnitt ein.

Insgesamt hat es mich einfach sehr gestört, wie wenig Screentime Jugendliche hatten und wie viel Sendezeit mit stinknormalem Frage-Antwort-Spiel zwischen mittelalten Moderatoren und mittelalten bis alten Politikern draufging. Zu einem Großteil war das einfach eine normale Talkshow mit den üblichen Politikerphrasen, in der die angekündigten Adressaten, die jungen Wähler, oft ganz aus dem Blick verloren wurden.

[B]3.) Warum macht man eine Sendung für junge Leute, wenn man junge Leute nicht ernst nimmt?[/B]

Wenn die ARD versucht, sich an Jugendliche ranzuschmeißen, dann kann das ja einfach nur peinlich sein. Das oben schon genannte Zitat “OMG oder Yolo” zeigt das eigentlich schon zu Genüge. Ich würde mir als Jugendlicher sowas von verarscht vorkommen bei dem, was die ARD da heute abgeliefert hat! Hier zeigt sich, was die Macher dieser Sendung von Jugendlichen denken. Da werden in dem Einspieler Politiker in peinlicher (angeblicher) Jugendsprache befragt und dazu aufgefordert, ihre Partei mit coolen Moves zu präsentieren oder zu rappen. Als ob es das wäre, was Jugendliche von der Politik wollen!

Weiter zeigt sich auch die Geringschätzung für die Meinung der Jugendlichen in der Art der Auswertung der Fragen aus dem Internet. Erstens wurde, wie oben schon gesagt, diesen Fragen insgesamt nur sehr wenig Zeit eingeräumt. Zweitens sollten die Politiker diese Fragen innerhalb von nur 15 Sekunden beantworten - was angesichts des Politikergelabers zwar an sich keine schlechte Idee ist, dies aber ausgerechnet in einer Sendung für Jugendliche zu machen, kommt für mich so rüber, als würden die Jugendlichen nach Meinung der Macher entweder keine längere Antwort verdienen oder als würde man glauben, eine komplexere Antwort würden Jugendliche gar nicht verstehen oder die Aufmerksamkeitsspanne eines Jugendlichen sei nicht länger als 15 Sekunden (so etwas wurde in dem “coolen” Einspieler auch mal angedeutet!). Drittens wurden aus dem riesigen Pool der Fragen aus dem Internet bewusst simple, teils “lustige” und auf jeden Fall in 15 Sekunden beantwortbare Fragen ausgewählt, z.B.: “Frau Roth, woher haben Sie Ihre Klamotten?”, “Herr Gysi, könnte sie ein paar Tipps zum Kindermachen geben?” oder “Herr Bahr, was ist aus Ihrer FDP-Boyband geworden?” - Irgendwelche Senioren, die sich die Sendung vll angesehen haben, denken jetzt wohl, das ist alles, was die junge Generation an Fragen an die Politiker hat. Wenn das die Chance gewesen sein soll, die die ARD jungen Menschen gibt, um mit Politikern in den Dialog zu treten, dann war das ja mal ein richtiger Griff ins Klo. Hier wurde keine einzige Frage von jungen Leuten anständig beantwortet und von der ARD ordentlich vorgefiltert, was denn die jungen Leute gefälligst zu interessieren hat.

Womit ich auch bei meinem nächsten Kritikpunkt wäre…

[B]4.) Wenn man eine interaktive Sendung macht, warum nutzt man dann das Potential nicht?[/B]

Im Vorfeld der Sendung wurde man aufgefordert, seine Fragen online zu stellen und im Internet wurden, wie gesagt, tausende Fragen von Nutzern gestellt, und trotzdem musste ich dann zusehen, wie 90% der Sendezeit verstrich, ohne dass diese Fragen intergriert wurden. Wieso soll man sich die Mühe machen und Fragen einsenden, wenn man dann doch eine vorgefertigte Sendung präsentiert bekommt, in der die Moderatoren jede Frage an die Politiker schon durchgeplant haben und die Fragen aus dem Internet nur als lustige “Schnellantwort-Runde” zur Auflockerung missbraucht werden? Wieso entscheidet bitte die ARD schon vorher für die Jugendlichen, welchen Themen und Fragen für sie interessant sind? Dass sie in dieser Angelegenheit vollkommen inkompentent sind, sollte doch klar sein.

[B]5.) Warum braucht man ein Abzock-Telefonvoting, um festzustellen, wer der “Sieger” ist?[/B]

Die Adresse der Webseite zur Sendung war die ganze Zeit eingeblendet. Man hätte sehr sehr gut, einfach eine Abstimmung in die Webseite einbinden können, wo man dort doch sowieso schon Fragen stellen sollte. Das sieht schon schwer nach Abzocke aus.

Insgesamt war ich schwer von der Sendung enttäuscht, v.a. von dem geringen Mitspracherecht der Jugendlichen. Ich hätte mir da von der ARD etwas ganz anderes gewünscht, z.B. eine echte Diskussionsrunde, in der politisch interessierte Erstwähler wirklich Politikern gegenübersitzen und die Fragen stellen, die ihnen am Herzen liegen, und bei Bedarf auch mal als gleichberechtigter Diskussionspartner nachfragen dürfen. Natürlich unterstützt durch eine Moderation, die dafür sorgt, dass das Ganze nicht aus dem Ruder läuft. Dann hätte man zwischendrin immer mal wieder wirklich sinnvolle und nicht so oberflächliche Fragen aus dem Internet stellen und in der Runde ausführlich darüber diskutieren können. Das hätte eine bessere Sendung gegeben, die Jugendlichen auch wirklich mal eine Stimme in den Öffis gegeben hätte. So wie die Sendung heute aber war, muss ich sagen: Ich bin nicht überzeugt!

Also für mich gab es sowohl Licht als auch Schatten.

Positiv:

-Ausnahmslos sehr prominente Politiker aller großen Parteien waren zu Gast

-besonders die Co-Moderatorin Katrin Bauerfeind war sehr überzeugend, hatte die Gespräche fest im Griff und hat gezeigt dass sie auch gut und gerne eine reguläre Polit-Talkshow allein moderieren könnte

-die Einspieler von Pierre Krause hielt ich zuerst für peinlich, aber die bissige Ironie hat mich dann doch gepackt. Eine gute Auflockerung. Hier wurde die Pseudocoolness nicht krampfhaft an die Politiker herangetragen, sondern es wurde sich über das Klischeee der Jugendsprache selbst lächerlich gemacht.

Negativ:

-alle Bundestagsparteien waren vertreten, aber niemand von AfD und den Piraten. Gerade letztere hätten bei eine interaktiven Sendung für junge Menschen etwas beitragen können

-Richtige Diskussionen kamen nicht auf, zum einen weil es einfach zu viele Platzhirsche waren, die alle unbedingt Werbung für sich machen wollten und den anderen keine Redezeit gönnten und zweitens wurde jeder nur einzeln kurz abgefragt, teilweise mit Schnellraterunden

-diese unsäglichen Netzreporter im Hintergrund, die aus der Welt von Facebook und Twitter berichten. Diese Einbindung der Netzwerke in Fernsehsendungen hat bei Gottschalk live nicht geklappt und ich brauch sie auch in allen anderen Sendungen nicht. Es nervt doch nur.

Alles in allem aber immer noch ein Format, das ich mehr lieber anschaue, als wenn bei der Konkurrenz Sophia Thomalla in der Task Force Berlin loszieht oder Per Steinbrück bei RTL an einem Tisch mit dem Lets Dance-Juror sitzt…

@ Mara_Jade:

Sehr gute Kritikpunkte denen ich mich vorbehaltlos anschließen kann. Bis auf einen:

5.) Warum braucht man ein Abzock-Telefonvoting, um festzustellen, wer der „Sieger“ ist?

Gut, man hätte das auf der Website mit einbinden können. Da gebe ich dir recht. Immerhin kostete der Anruf nur 14 Cent statt der üblichen 50 Cent.

Ich denke, dass hätte einfach die Sendung gesprengt. 8 Diskutanten, die um die knapp bemessene Redezeit buhlen. Da hätte man die Sendung wohl besser an zwei Tagen aufgezeichnet mit je 4 Spitzenkandidaten.

Meine Kritik:

Man hätte die Jugendorganisationen nicht noch einladen müssen. Die Spitzenkandidaten haben schon gereicht.

[QUOTE=Otto Welz;320381]
Ich denke, dass hätte einfach die Sendung gesprengt. 8 Diskutanten, die um die knapp bemessene Redezeit buhlen. Da hätte man die Sendung wohl besser an zwei Tagen aufgezeichnet mit je 4 Spitzenkandidaten.
[/QUOTE]

Es waren zu viele Politiker, klar. Dennoch mutet es komisch an, dass ausgerechnet bei einer Politsendung für junge Menschen die Piraten nicht vertreten waren. Finde ich unglücklich. Zumal ja sowohl die CDU als auch die CSU vertreten waren, die man aber bei der Bundestagswahl sowieso nur gemeinsam wählen kann.
Die Lösung wäre wohl tatsächlich gewesen, dass man das Ganze in 2 Sendungen aufteilt.

Also ich habe nur ein ganz kurzes Stück von der Sendung gesehen, und zwar von diesem Einspieler bis zur Rentendiskussion, aber Pierre M. Krause war wie immer klasse.

Ich würde mir als Jugendlicher sowas von verarscht vorkommen bei dem, was die ARD da heute abgeliefert hat!

Kommt drauf an ob die Ironie-Antennen bei dem Jugendlichen ausreichend kalibriert sind. Denn dann hätte er gemerkt dass hier die Politiker verarscht wurden, und nicht die Jugendlichen.

Hier übrigens eine interessante Anekdote von Daniel Bangert, der in der Sendung zu Gast war: